Verzögerte Spontanität
von Luis Mülbach, Journalist
erschienen in der Schweriner Volkszeitung am 22.05.2015
Studierende der Berliner Universität der Künste stellen Lithografien im Kunstraum Heiddorf aus
So ungefähr muss man sich vorstellen, was die Kunststudentin Anna Slobodnik unlängst in der Universität der Künste(UdK) unternahm.Sie belegt einen Kurs in Lithografie. Weil sie ihren Malgrund, also die Steine, nicht im Atelier bearbeiten wollte, zog sie damit direkt vors lebende Modell. Dort entstanden schwungvolle Zeichnungen, nicht figürlich, doch auch nicht abstrakt, eher die Bewegung des Modells einfangend.
Zu sehen sind diese Arbeiten derzeit im Kunstraum Heiddorf in Neu Kaliß bei Ludwigslust. Vorgestellt werden in dieser Schau gleich sechs junge Künstlerinnen und Künstler, allesamt Studierende der UdK und demnächst Absolventen.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Steffen Tschesno, der die Lithografie-Werkstatt der Hochschule leitet und den Studierenden die Feinheiten der alten Steindrucktechnik vermittelt. Andere Techniken wie Siebdruck oder Radierung haben es leichter, erzählt Tschesno. Bei der Lithografie werden Blöcke aus Solnhofener Kalkschiefer geschliffen. Auf der Oberfläche wird mit spezieller Tusche oder Kreide gezeichnet, vor dem Drucken muss der Stein geätzt werden. Das ist zeitaufwendig, eine Technik der Entschleunigung. Die meisten jungen Studierenden stehen eher auf schnellere Techniken, sagt Tschesno. Doch die Nachfrage nach Lithografie steigt wieder.
Junge Leute und alte Techniken? Das funktioniert sehr gut. „Ich habe für die Ausstellung Studierende ausgesucht, die sich in den vergangenen Jahren schon eine Position erarbeitet haben“, sagt Steffen Tschesno.
In den Blick fällt eine großformatige Arbeit von Katharina Albers. Schwungvolle Striche auf acht großen Blättern. „Transformation“ nannte die Künstlerin ihr Werk. So bodenständig wie die Technik sind auch ihre Themen. In „Transformation“ erkundet sie die Kreisform. Außerdem sind mehrere Blätter zum Thema „Wald“ zu sehen. „Der Wald ist der Ursprungsort allen Lebens“, sagt Albers. Sie präsentiert ihn rein, ohne Menschen und Tiere. Eine vielschichtige Pflanzenwelt, verwirrende Linien und Flächen, dargestellt in mehrfarbigen Drucken, die von fern geradezu räumlich wirken. „Ich will den Betrachter in meine Bilder hineinziehen, dort kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen“, sagt Katharina Albers, die in der Technik der Lithografie ihre künstlerische Heimat gefunden hat. „Ich mag die starke handwerkliche Beanspruchung“, bekennt sie.
Anna Slobodnik geht das offenbar ähnlich. Ihre Malaktion im Aktsaal würde sie sogar mit größeren Steinen wiederholen, aber: „Es gibt dort keinen Fahrstuhl.“ Anna Slobodnik lässt sich von unmittelbaren Situationen inspirieren. Körper,Interieurs.In der Verarbeitung entstehen dann eher abstrakte oder eher figürliche Arbeiten, aus dem Malgrund geschälte Körper, dynamische Bewegungsskizzen, mit Hilfe der alten Technik in etlichen Arbeitsgängen aufs Papier gebracht. „Ich mag diese verzögerte Spontanität“, sagt die Künstlerin.
Dabei versteht sie sich auch auf andere Techniken. Ein großformatiges Blatt zeigt eine Ateliersituation – umgesetzt als Radierung. Da liegen die Unterschiede der Techniken offen zu Tage: auf der einen Seite der scharfe Strich der Nadel in der Radierung, auf der anderen Seite die sanfte Linie, gnädig aufgenommen von der glatten steinernen Natur-Oberfläche.
Schöne Kontraste erzeugt auch die Künstlerin Sarah Loibl: Sie zeigt „Turnschuh“ und Sandale“,knallig bunt auf weißem Grund, ein scheinbarer Gegensatz zur altehrwürdigen Technik. Aber es geht auch ganz anders: Beatrice Baumgartner zeigt farbgesättigte, flächige Holzschnitte, die ihre Technik geradezu verbergen. Ole Meergans ist gleichsam als Kontrapunkt mit heiteren Metallfiguren vertreten: „König und Königin“ sehen aus wie vorsintflutliche Parkscheinautomaten. Modernes Leben auf Grundkonstanten reduziert. Auch das passt zur Lithografie.