von Sarah Frost, Kunsthistorikerin
erschienen im März 2016
Foris
Berlin. Der lateinische Begriff foris bildet die etymologische Wortherkunft von Wald, Forst, forest, forêt und bezeichnet einen Raum im Außerhalb, ein freies Gegenstück zu einer strukturierten, geformten Kultur. In Mythen und Märchen ist der Wald Grenzort zu fremden Welten. Zwischen den Polen Verirrung und Selbstfindung ruft foris eine Reihe gegensätzlicher Assoziationen hervor, denen die Künstler_innen Katharina Albers, Nina Röder und Hirofumi Fujiwara mit diversen Strategien nachgehen.
Katharina Albers stellt den Wald (2013 – heute) als Urort dar – wild, undurchdringlich, aber auch licht und still. Die Künstlerin lässt uns in Projektionen tauchen: Zeitlos, ohne Anfang und Ende, sind wir es, die den Wald mit inneren Bildern füllen und zum eigenen Zufluchtsort machen.
Die Serie von Lithografien und Zeichnungen umfasst knapp 100 Arbeiten verschiedenen Formats und Gestalt – stets zwischen Abstraktion und Bildlichkeit kippend. Mal mäandert der Blick in einem chaotischen Liniengeäst, mal findet das Auge auf einem Schattenriss Ruhe. Einige Arbeiten zeigen mystisch aufgeladene Landschaften, andere verweisen auf die Künstlerinnenhand, expressiv in Farbe und Geste.
Der Bildraum entwickelt sich in den Lithografien Schicht für Schicht. Dabei überlagern sich klare Zeichnungen, Schraffuren, aquarellartige und deckende Flächen. Die Farbe mischt sich und kreiert zufällige Zwischentöne. Kein Bild ist wie das andere, doch gleichen sie sich und verwachsen zu einem sich ständig transformierenden Ganzen. Die intuitive Vervielfältigung findet in Katharina Albers raumgreifenden Tableaux eine Steigerung, indem die organischen Fragmente Blatt für Blatt gehängt werden und allmählich die Wand beranken. So reflektiert der Entstehungsprozess gleichsam den natürlichen Wachstum eines Waldes.
Für ihre Serie a little deeper than you thought (2012 – heute) bewandert Nina Röder die rauen Weiten Islands, Irlands und Spaniens. Ihre Fotografien begreifen foris als hybriden Naturraum außerhalb der Zivilisation und bewegen sich stets in einem Dazwischen. In ihrer Unbestimmtheit entfalten sie Poesie und Geheimnis. Die Künstlerin setzt sich mit Aspekten des Unbewussten, Unheimlichen und einem ambivalenten Körperbild auseinander. Die performative Interaktion des menschlichen Körpers mit der natürlichen Umgebung ist den Fotografien als Akt der Besetzung eingeschrieben.
Inmitten ungezähmter Wildnis haben sich junge Frauenkörper eingefügt – nackt, zart, kauernd. Ungewiss, ob sie aus der Landschaft hervorgehen oder in ihr verschwinden. Die weiblichen Figuren sind stets an Formen von Wasser, der Ursubstanz des Lebens, gebunden und tragen somit auch den Tod in sich. Naturempfindungen sind Sinnbild einer romantischen Sehnsucht nach Ferne und Flucht. Auf der Folie von Körper und Landschaft repräsentieren Nina Röders Fotografien ambige Geisteszustände und Stimmungen, die stets spürbar, aber nie greifbar sind.
Die Figurenbilder finden in menschenleeren Landschaftaufnahmen und Stillleben einen formalen Widerhall. Die offene Visualität ihrer Arbeiten wird in einer assoziativen Hängung noch gesteigert. Maße und Sichthöhe der Fotografien variieren und bringen – je nach Kombination – neue Plots und Bedeutungen in Gang.
Hirofumi Fujiwara erschafft eine geheimnisvolle Parallelwelt. Seine Figuren entziehen sich dem Betrachter. Abwesend stehen, liegen und sitzen sie im Raum, ziellos in die Ferne blickend. Passiv, ohne Gestik und Mimik, ruhen sie in sich selbst. Auch wenn moderne Kleidung und Frisur sie in unserer Gegenwart verortet, erscheinen sie isoliert vom Diesseits, in einer Blase ihrer eigenen Gedanken. Transparente Mauern umgeben ihre zerbrechlichen Körper, verschleiern die Sicht und markieren eine klare Grenze zwischen ihnen und uns. Außen und Innen – räumlich wie metaphorisch – verzahnen sich dabei und laden zu einem Perspektivwechsel ein.
In einem intuitiven Prozess modelliert der japanische Künstler die Skulpturen aus Ton und Kunststoff. „Verkettung von Zufallsmomenten“ beschreibt er seine Methode, sich auf das Wesen des Materials einzulassen und dem spontanen Handlungsfluss hinzugeben. So stellen seine Figuren – frei nach Platon – die Idee des Menschen dar und spiegeln in ihrer Offenheit mehr den Betrachter, als dass sie ein lebendiges Vorbild porträtieren.
In der Ausstellung foris zeigt sich der Wald selten in seiner natürlichen Gestalt, sondern tritt als reine Metapher hervor. Die drei Positionen begreifen foris als fließenden Raum der eigenen Projektionen. Außerhalb und Innerlich schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Das eine wird zum Spiegel des anderen und umgekehrt.
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Ausstellungsansichten